Erschienen in Auf Asche #14 – März 2014

Erschienen in Auf Asche #14 – März 2014

Er ernannte sich selbst zum „Kind der Bundesliga“, da er von der ersten Sekunde an dabei war. Die Bremer tauften ihn „König Otto“ und in Griechenland erarbeitete er sich den respektvollen Spitznamen „Rehakles“. Otto Rehhagel ist einer der erfolgreichsten Trainer in der Bundesliga-Geschichte. Mit insgesamt 820 Spielen führt er noch heute die ewige Rangliste der Trainereinsätze in Deutschlands Eliteklasse an.

Von Martin Herms – März 2014

Rehhagels beeindruckende Erfolgsgeschichte hat ihren Ursprung in seiner Heimatstadt Essen. Seine ersten Schritte als Fußballer machte er bei seinem Stammverein TuS Helene. Für den Traditionsklub von der Bäuminghausstraße war die Trainerikone zehn Jahre aktiv. Anschließend trug er drei Jahre das Trikot von Rot-Weiss Essen, ehe 1963 zum Start der Bundesliga der Wechsel in die höchste Spielklasse folgte.

Im Gespräch mit Auf Asche blickt Rehhagel, der im vergangenen Sommer seinen 75. Geburtstag feierte, auf seine einzigartige Laufbahn und die Anfänge in Essen zurück. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass er zumindest bei einer seiner gewagten Thesen komplett falsch lag. „Mit 50 bist du als Fußball-Trainer reif für die Klapsmühle. Wenn du genug Geld verdient hast, kannst du wenigstens erster Klasse liegen“, orakelte „König Otto“ während seiner Laufbahn.

Otto Rehhagel, in der letzten Zeit ist es merklich ruhiger um Ihre Person geworden. Fällt es Ihnen schwer, nicht mehr aktiv ins Geschehen rund um den Profifußball einzugreifen?
Der Fußball ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich bin regelmäßig in den Stadien und schaue mir Spiele an. Darüber hinaus werde ich immer wieder von den Vereinen oder Verbänden eingeladen. Das sind schöne Dinge, die ich mir während meiner aktiven Zeit erarbeitet habe. Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich die Tribüne betrete und das Publikum sich darüber freut. Alles im Leben hat aber seine Zeit. Auch wenn ich nicht mehr als Trainer tätig bin, genieße ich mein Leben.

Im Zuge Ihrer langen Laufbahn haben Sie sehr viele Menschen kennengelernt. Gelingt es Ihnen, die Kontakte weiterhin zu pflegen?
Das ist mir auf jeden Fall sehr wichtig. Durch den Fußball habe ich einen großen Freundeskreis gewonnen. In Bremen etwa habe ich 14 tolle Jahre verbracht. Mit meinen Jungs stehe ich nach wie vor in engem Kontakt. Das gilt aber auch für andere Stationen. Miroslav Klose, den ich damals nach Kaiserslautern holte, habe ich vor drei Monaten in Rom besucht. Auch nach Griechenland pflege ich einen sehr guten Kontakt.

Ihren Wohnsitz in Essen haben Sie nie aufgegeben, obwohl Sie seit dem Start der Bundesliga im Jahr 1963 in anderen Städten tätig waren. Wie ist das zu erklären?
Essen ist meine Heimat und ich habe mich hier immer wohl gefühlt. Außerdem ist die Lage vorteilhaft für mich. Essen ist sehr zentral und ich kann alle fußballerischen und kulturellen Ereignisse leicht erreichen.

„TuS Helene war meine zweite Familie. Dort habe ich zehn wunderbare Jahre verbracht.“

Essen ist gleichermaßen der Ursprung ihrer aktiven Laufbahn. Können Sie sich an Ihre Anfänge bei TuS Helene noch gut erinnern?
Ich habe ein Elefantengedächtnis. Solche Dinge werde ich so schnell nicht vergessen. TuS Helene war meine zweite Familie. Dort habe ich zehn wunderbare Jahre verbracht, auf die ich immer wieder gerne zurückschaue. Ich fühlte mich in diesem Klub geborgen.

Obwohl Sie damals für Helene zunächst nur in der vierthöchsten Klasse spielten, wurden Sie in die Amateurnationalmannschaft berufen. Wie ist es Ihnen gelungen, in das Rampenlicht zu geraten?
Die damalige Zeit ist mit der heutigen nicht vergleichbar. Früher haben die richtig guten Spieler zu Beginn ihrer Laufbahn in der Regel für den Heimatverein gespielt. Heutzutage haben die Profivereine schon in der Jugend ihre Netze gespannt. TuS Helene war in den fünfziger Jahren ein großer Verein, der tolle Spieler wie Penny Islacker hervorgebracht hat. Zu den Heimspielen der ersten Mannschaft kamen immer 1000 Zuschauer. Gegen unseren großen Konkurrenten BV Altenessen waren 8000 Besucher an der Bäuminghausstraße. Es war ein wunderbares Gefühl, für diesen Verein zu spielen. Als Jugendliche haben wir uns die Spiele der Ersten auf dem Rasenplatz regelmäßig angeschaut. Ich hatte immer das Ziel vor Augen, irgendwann dazu zu gehören.

In der Jugend haben Sie auf Asche gespielt. Heutzutage tendieren die Jugendlichen immer mehr zu den neuen Kunst-rasenplätzen. Wie beurteilen Sie das?
Für uns gab es damals keine andere Wahl. Es gab in der Jugend nur die Asche und auf diesem Geläuf wurde uns auch beigebracht zu grätschen. Ich erinnere mich sehr gut an die Wunden an den Beinen. Bevor ich mich ins Bett legte, habe ich mir immer Jod auf die Wunden gerieben. Das musste einfach dazugehören. Letztlich kann ich sagen, dass mich die Asche durchaus weitergebracht hat. Ich war ein robuster Verteidiger, mit den Plätzen hatte ich deshalb kein Problem.

Kritiker sagten Ihnen immer wieder nach, Sie seien als Spieler ein „Klopper“ gewesen. Stimmen Sie dieser Bewertung zu?
Ich war ein harter Verteidiger, aber auch ein guter Fußballer. Immerhin habe ich 22 Tore in der Bundesliga erzielt.Ich hatte einen ähnlichen Spielstil wie Berti Vogts. Ich wurde als Klopper bezeichnet, bei ihm hieß es internationale Härte. Es gibt im Fußball nur eine Wahrheit. Es geht um das, was du kannst und was du nicht kannst.

Ihre alte Sportanlage an der Bäumhinghausstraße wird momentan umgebaut. Wie gehen Sie mit dem Gedanken um, dass ihre einstige Heimat runderneuert wird?
Beim Thema TuS Helene werde ich sehr nostalgisch. Ich war vor kurzem vor Ort und habe mir einen Überblick verschafft. Dabei habe ich einen Baum umarmt und mit ihm über die alten Zeiten gesprochen. TuS Helene werde ich nie vergessen. Ich bin nach wie vor Ehrenmitglied und werde sicher noch häufiger vorbeischauen – auch auf der neuen Platzanlage.

Im Sommer 1960 wechselten Sie schließlich zu Rot-Weiss Essen. Reifte in Ihnen zu diesem Zeitpunkt die Überzeugung, dass Sie es in den Profifußball schaffen können?
Es gab zu meiner Jugendzeit schon immer nur den Fußball. Als ich einige Monate zuvor in die Amateurnationalmannschaft berufen wurde, hatte ich aber das Gefühl, dass ich es schaffen kann. Also habe ich alles dafür getan. Der Wechsel zu Rot-Weiss Essen war schon etwas ganz besonderes. Als Kind habe ich immer davon geträumt, für diesen Verein zu spielen. Ich denke dabei immer an Helmut Rahn und Penny Islacker. Das waren großartige Spieler und die Ikonen unserer Zeit. Ich werde nie vergessen, wie ich als junger Bursche nach einem Spiel in die Kabine kam und Penny Islacker auf der Massagebank lag. Er sprach mich an und sagte: ‚Was willst du denn hier? Komm in drei Jahren wieder.’ Das sind Momente, über die ich heute immer wieder lachen kann.

Rot-Weiss Essen ist speziell in dieser Saison meilenweit von den Erfolgen alter Tage entfernt. Wie bewerten Sie die aktuelle die Lage bei ihrem Ex-Klub?
Ohne Moos nichts los. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ein Trainer kann nicht zaubern. Um aufzusteigen, reicht Tradition alleine nicht aus. Ohne einen oder mehrere Großsponsoren sind diese Ziele nur schwer zu erreichen.

„Spieler wie Frank Mill oder Manni Burgsmüller wären heute 30 Millionen Euro wert.“

Während Ihrer Trainerlaufbahn ist es Ihnen häufig gelungen, für große Überraschungen zu sorgen. Der Meistertitel für einen Aufsteiger ist in Zeiten der Bayern-Dominanz nicht mehr vorstellbar. War der Fußball deshalb früher interessanter?

Zu meiner Zeit gab es immer eine Chancengleichheit. Der Fußball lebte von den Unwägbarkeiten und es gab immer eine Chance. Heute spielt das Geld eine noch größere Rolle. Damals ging es auch um Geld, aber im Vergleich zu den letzten Jahren war das Kleingeld. Spieler wie Frank Mill oder Manni Burgsmüller wären heute 30 Millionen Euro wert. Nichtsdestotrotz müssen sich die Vereine den Gegebenheiten stellen und anpassen. Gegen die ganz Großen der Branche werden die Chancen aber immer geringer.

Sie haben vier Jahrzehnte den Trainerjob ausgeübt. Haben sich aus Ihrer Sicht auch die Anforderungen an diese Tätigkeit verändert?
Die Kräfteverhältnisse haben sich auf jeden Fall verschoben. Heute sind die Manager die Nummer eins. Als Trainer konnte ich mich früher entfalten und habe wichtige Personalentscheidungen treffen dürfen. Heute machen das andere Leute. Gleiches gilt für den Trainingsplatz. In der Anfangszeit habe ich alles alleine gemacht. Jetzt gibt es Assistenztrainer für sämtliche Bereiche.

Als Trainer haben Sie in Bremen den ganz großen Durchbruch geschafft. Aber auch bei anderen Vereinen konnten Sie großartige Erfolge feiern. Können Sie Ihr Erfolgsgeheimnis verraten?
Ich war immer ein Trainer, der sich sehr für die Historie des Vereins und die Menschen drumherum interessiert hat. Außerdem habe ich sehr viel Wert auf Einzelgespräche mit meinen Spielern gelegt. Das beste Beispiel, das mir in diesem Zusammenhang einfällt, habe ich mit Griechenland bei unserem Titelgewinn 2004 erlebt. Damals haben wir zum Auftakt und im Finale gegen Portugal gespielt. Ein gewisser Cristiano Ronaldo sagte damals vor der EM, er würde keinen griechischen Spieler kennen. Also bin ich zu unserem Rechtsverteidiger Georgios Seitaridis gegangen und habe ihm gesagt, dass Ronaldo nach dem Spiel wissen wird, wer er ist. Am Ende hat es tatsächlich geklappt, denn Ronaldo war aus dem Spiel. Ich muss aber auch betonen, dass immer eine Portion Glück und gute Spieler dazu gehören. Ich hatte zu meiner Zeit sehr viele tolle Spieler.

„Hätte ich Xavi, Iniesta und Messi gehabt, wäre unser Spiel mit Sicherheit offensiver gewesen.“

Trotz Ihrer Erfolge wurden Sie häufig kritisiert. Vor allem nach dem EM-Titel mit Griechenland wurde Ihnen eine destruktive Spielweise nachgesagt. Daraufhin entgegneten Sie: „Modern spielt, wer gewinnt.“ Hat Sie die Kritik gestört?
Ich habe mich von diesem Gerede nie beunruhigen lassen. Wo steht geschrieben, wie man zu spielen hat? Ich musste meine Mannschaft nach ihren Voraussetzungen ausrichten. Hätte ich damals Xavi, Iniesta und Messi gehabt, wäre unser Spiel mit Sicherheit offensiver gewesen. Wir wurden bei der EM unterschätzt und haben uns taktisch klug verhalten. Wir haben den Titel geholt und deshalb war es mir auch egal, was über die Spielweise geschrieben wurde.

In diesem Jahr werden Sie 76 Jahre alt. Könnten Sie sich noch mal vorstellen, einen letzten Trainerjob zu übernehmen?
Das kommt für mich nicht mehr in Frage. Ich könnte mir höchstens vorstellen, in einer beratenden Funktion tätig zu werden. Ich käme höchstens ins Grübeln, wenn Real Madrid oder der FC Barcelona anrufen. •

Auf Asche bedankt sich bei Detlef Loeschin für die freundliche Mitarbeit an diesem Interview.
Foto: Schwörer Pressefoto