Erschienen in Auf Asche #16 – April 2015

Erschienen in Auf Asche #16 – April 2015

Am größten Tiefpunkt der jüngsten Vereinsgeschichte, der Insolvenz im Jahr 2010, übernahm Michael Welling die Geschicke bei Rot-Weiss Essen. Seitdem hat er den Traditionsverein mit all seinen Facetten erlebt.

Von Martin Herms – April 2015

Als Präsident für einen Fußballverein verantwortlich zu sein, ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Erst Recht nicht, wenn es sich um einen Traditionsverein wie Rot-Weiss Essen handelt. So attraktiv die Marke RWE für den einen oder anderen Außenstehenden auch wirken mag, so nervenaufreibend und anstrengend kann sie bisweilen für die verantwortlichen Personen sein. Michael Welling kann davon ein Lied singen. Seit der Insolvenz im Jahr 2010 arbeitet er als geschäftsführender Vorsitzender für den Klub von der Hafenstraße. Nachdem es in den ersten Jahren seiner Amtszeit stetig bergauf ging, sind die letzten beiden Spielzeiten auch von Misserfolgen und Unruhen im näheren Umfeld geprägt. Speziell das jüngste Theater um die Beurlaubung von Sportvorstand Uwe Harttgen schlug sowohl den Fans als auch den Verantwortlichen mächtig auf den Magen. Welling, der kurz vor dem Jahreswechsel zum Professor ernannt wurde, sah sich zusammen mit seinen Kollegen starker Kritik ausgesetzt. Kritik, die zum Teil gerechtfertigt aber vor allem auch häufig unverhältnismäßig daherkam. Doch was treibt einen Mann wie Michael Welling an, den Job auch in derart stürmischen Zeiten zu machen? Auf Asche sprach mit dem Funktionär über sein Leben als Vereinspräsident, Träume, Visionen und den Mythos RWE.

„Um hier Funktionär zu sein, muss man leicht sadomasochistisch veranlagt sein“

Michael Welling, wie schwer ist es, Präsident von Rot-Weiss Essen zu sein?
Bei RWE bekommt man häufig auf die Fresse. Um hier Funktionär zu sein, muss man leicht sadomasochistisch veranlagt sein. Lust am Leiden und Lust auf die Fresse zu kriegen muss ich als Vorsitzender definitiv haben. Auch wenn man sich manchmal wünscht, dass es etwas weniger extrem ist. Wir sind ein Verein, bei dem die Entwicklung nicht geradlinig ist. Die Amplitude ist enorm. In den letzten zwei Monaten konnte jeder die komplette Amplitude von RWE sehen. Zunächst diese unglaubliche Euphorie vor dem Aachen-Spiel, wo alle nur über den kommenden Relegationsgegner gesprochen haben. Da war deutlich zu sehen, was in Essen möglich ist, wenn es läuft. Sechs Wochen später haben wir ein Spitzenspiel in Köln vor ein paar hundert Leuten. Diese Extreme gibt es in ähnlicher Weise wohl bei keinem anderen Verein. Auf der einen Seite können sie schön sein, auf der anderen Seite sind sie extrem anstrengend und kosten Kraft. Das ist bisweilen körperlich anstrengend.

Ohne die nötige Affinität zum Sport wäre das wohl nicht zu ertragen. War es schon immer ihr Traum, Präsident bei einem Fußballverein zu werden?
Wie viele andere Kinder auch habe ich davon geträumt, Fußballer und nicht Funktionär zu werden. Aber ich wusste schon sehr früh, dass ich kein großes Talent besitze. In der Jugend habe ich bei meinem Heimatverein SV Holthausen/Biene als Libero gespielt. Schon damals war ich derjenige, der am meisten geredet und alles koordiniert hat. Am Ball konnte ich nicht viel, dafür habe ich alles besser verstanden als die anderen. Bei den Senioren bin ich bei in einem Spiel als Stürmer aufgelaufen und habe zwei Tore erzielt. Bis heute weiß ich nicht, wie ich das geschafft habe. Viel mehr positive Erlebnisse gab es aber nicht. Demnach habe ich frühzeitig versucht, mein Wissen zu vermitteln. So wurde ich schon als 14-jähriger Trainer unserer F-Jugend-Mannschaft. In den folgenden fünf Jahren haben wir alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Das lag aber eher weniger am Trainer. Nachdem ich mein Studium in Osnabrück begonnen habe, war damit auch Schluss. Die Affinität zum Sport habe ich dennoch behalten. Schließlich wurde ich in einer Fußballerfamilie geboren. Meine Mutter hat Frauenfußball gespielt und mein Vater war der Trainer des Teams. Ich habe immer davon geträumt, später irgendetwas mit Fußball zu machen und den Sport zu meinem Beruf zu machen.

Auf Asche Michael Welling

Bevor Sie bei RWE angeheuert haben, waren Sie für den VfL Bochum tätig. Wie ist es dazu gekommen?
In Osnabrück habe ich nach kurzer Zeit abgebrochen und ging nach Bochum, um dort Wirtschaftswissenschaft zu studieren. Über ein Praktikum bei Adidas bin ich schließlich zum Sport gekommen. Nach dem Studium habe ich auch für Adidas gearbeitet. In Bochum habe ich eine Veranstaltung zum Thema Internet-auftritte von Bundesligisten durchgeführt. Dadurch wurde der VfL auf mich aufmerksam und ich durfte den Verein später im Bereich Dienstleistungsmanagement und zum Thema Marke im Fußball beraten.

Der anschließende Kontakt zu Rot-Weiss Essen kam dann eher zufällig zustande, oder?
Als es 2010 um das Jobangebot ging, ja. Vorher war ich bewusst häufiger an der Hafenstraße. Ich war schon immer ein Fußballfan im klassischen Sinne. Im Ruhrgebiet bin ich sehr oft zum Fußball gegangen, häufig auch zu RWE. Irgendwann fragte mich ein Bekannter, ob ich schon mal mit allem Drum und Dran bei einem Spiel von Rot-Weiss war. Damit meinte er ein Flaschenstauder am Hafenstübchen, ein Aufenthalt in der Vereinsgaststätte und eine Bratwurst auf der Steh. Wir haben das Spiel gegen Hansa Rostock gesehen, das fast abgebrochen wurde. Insgesamt war es einfach ein geiler Zock. 2010 folgte schließlich der Anruf des Insolvenzverwalters. Der hatte mitbekommen, dass ich öfter gesagte habe, ein Verein wie RWE würde mir Spaß machen. Also meinte er, dass ich nun richtig Spaß haben könnte.

„Hätte meine Frau Ahnung vom Fußball, wäre ich heute nicht bei RWE“

Hatten Sie vorab große Bedenken oder fiel die Entscheidung zugunsten von Rot-Weiss Essen sehr schnell?
Ich habe natürlich nachgedacht und vorab mit meiner Frau gesprochen, die aber keine Ahnung vom Fußball hat. Hätte sie Ahnung vom Fußball, wäre ich heute nicht bei RWE.

Haben Sie diesen Schritt seitdem irgendwann bereut?
Nein, zu keinem Zeitpunkt. 2010 habe ich RWE an einem Tiefpunkt übernommen. Doch gerade das erste Jahr bleibt für mich unvergesslich. Damals durften wir den direkten Wiederaufstieg im Georg-Melches-Stadion feiern. Dieser sogenannte Aufstieg aus Ruinen war schon sensationell. Diesen gesamten Verein konnte man nur begreifen, wenn man dieses Stadion kannte. Ich habe in den folgenden vier Jahren auch viele Tiefschläge erlebt. Ernsthaft an der Sache gezweifelt habe ich aber nie.

Auf Asche Michael Welling

Besonders in der laufenden Saison gab es den einen oder anderen Rückschlag. Neben der Entlassung von Uwe Harttgen waren das vor allem die beiden Niederlagen im eigenen Stadion gegen den FC Kray. Wie geht ein Vereinspräsident mit solchen Negativerlebnissen um?
Solche Spiele wie gegen Kray stecken einem richtig in den Kleidern. Das nimmt man zwei Tage mit und es geht auch an die körperliche Substanz. Es ist aber meine Aufgabe, schneller aufzustehen als alle anderen. Ich muss eine positive Einstellung vorleben. Als Vorsitzender muss ich den Leuten immer wieder zeigen, dass es wieder aufwärts geht. Manchmal sieht es dann bei mir nach außen anders aus als in meinem Innenleben. Wenn ich in Depressionen verfallen würde, wäre es der falsche Weg. Das hat etwas mit Pflichtbewusstsein und Vorbildcharakter zu tun. Eine Niederlage tut immer weh, aber wir haben in diesem Verein schon ganz andere Dinge hinbekommen. Wichtig ist es, die Dinge rational zu reflektieren.

Das Essener Umfeld ist für diese Eigenschaft nicht unbekannt. Vermissen Sie ab und an die nicht vorhandene Geduld?
Ich bin weit davon entfernt, die Fans für den Misserfolg verantwortlich zu machen. Die Fans machen den Verein aus. Dennoch wünscht man sich, dass etwas mehr Geduld da wäre. Diese extreme Erwartungshaltung ist schon belastend. Das Spiel selbst sollte wieder viel stärker in den Fokus rücken. Die mangelnde Geduld schleppt man als Hypothek mit. Unsere Phase hatten wir, als wir damals Geduld mit Trainer Waldemar Wrobel bewiesen haben. Manchmal ist weniger mehr. Nochmal: Die Fans von Rot-Weiss Essen sind überragend, aber die Leute haben gleichermaßen eine Lust am Leiden und vor allem daran, Extreme auszuleben. Aber weil wir wie zuletzt gerade nicht schön Fußball spielen, zu sagen, ‚ich komm nicht mehr‘, ist auch der falsche Weg. Da fehlt die Verhältnismäßigkeit. Ja, es ist sportlich nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, aber auch nicht so schlimm, wie es dargestellt wird. Das hat sicherlich etwas mit der großen Fallhöhe nach dem Aachen-Spiel zu tun.

Essener Vereinspräsidenten

Die Trennung von Uwe Harttgen hat für reichlich Aufhorchen gesorgt. Nehmen Sie diese Personalie ein Stück weit auch auf Ihre Kappe?
Wenn man eine Zusammenarbeit, die ursprünglich langfristig geplant war, nach nur einem Jahr beendet, haben viele Dinge nicht funktioniert. Der Fall Harttgen war somit auch ein Fehler von mir. Das gebe ich zu.

Blicken wir in die Zukunft. Welche Träume verfolgt ein Präsident von Rot-Weiss Essen?
Wir arbeiten nicht alle hier, weil wir den Verein in Liga vier etablieren wollen. Aber den Erfolg wollen wir nicht um jeden Preis und in einer zeitlich festgesetzten Schiene. Der sportliche Erfolg wird sich irgendwann einstellen. Dann ist die 3. Liga oder vielleicht auch mehr drin. Daran glaube ich fest, das ist meine Vision. Ich bin davon überzeugt, dass das in Essen geht. Das muss der Antrieb für uns alle sein. Ich bin derjenige, der trotz der Träume mahnen muss. Man kann davon träumen, sollte es aber nicht erwarten. Ich träume aber auch von schönen Fußball-Erlebnissen. Von intensiven Pokalspielen, einer guten Currywurst im Stadion, von gutem Angrillen – eben von allem, was den Fußball ausmacht. Genau deswegen mache ich das alles. •

Dieser Artikel erschien in der Auf Asche-Ausgabe 16 im Februar 2015