Erschienen in Auf Asche #19 - September 2016

Erschienen in Auf Asche #19 – September 2016

Seit zwei Jahren spielt Lukas Raeder für den portugiesischen Erstligisten Vitória Setúbal. Zuvor durfte er beim FC Bayern in die Lehre von Welttorhüter Manuel Neuer gehen. Begonnen hat für den jungen Essener alles am Krausen Bäumchen.

Von Martin Herms

Lukas Raeder ist nicht gut zu verstehen. Das Rauschen des Atlantiks und der starke Wind erschweren das Telefonieren mit dem Fußballprofi. Freunde und Verwandte des 22-Jährigen kennen diese Geräuschkulisse. In einer ruhigeren Ecke ist die Verbindung schließlich doch klar. Seit zwei Jahren ist Raeder in Setúbal zu Hause, eine portugiesische Kleinstadt, die sich rund 30 Kilometer südwestlich von Lissabon befindet. Im Sommer 2014 nahm der Torhüter ein Angebot aus der Primeira Liga an, der höchsten Spielklasse Portugals. Der dreifache Pokalsieger Vitória de Setúbal nahm den 1,94 Meter großen Schlussmann für drei Jahre unter Vertrag.

Von ungefähr kam das Interesse des letztjährigen Tabellen-Fünfzehnten nicht. Von keinem geringeren als Manuel Neuer durfte Raeder zwischen 2012 und 2014 lernen. Beim FC Bayern München gab er am 12. April 2014 sein Bundesliga-Debüt gegen Borussia Dortmund. Vier Tage später stand er im Halbfinale des DFB-Pokals gegen Eintracht Frankfurt (5:1) zwischen den Pfosten. Seitdem stehen eine deutsche Meisterschaft und der Gewinn des DFB-Pokals in seiner Vita. Ein beeindruckender Erfolg für einen Mann, der im Alter von zwölf Jahren noch einige Kilo zu viel auf den Rippen hatte und beim Essener Amateurverein ESV 10/21 (später ESC Rellinghausen) spielte. Am Krausen Bäumchen wurde er von Rot-Weiss Essens Jugendobmann Harald Bründermann entdeckt und gefördert. Aus einem pummeligen Jungen, der laut Bründermann „gerne Pommes mit Mayo aus der Tüte aß“, wurde ein Bundesliga-Torwart, der heute im Land des Europameisters spielt.

Auf Asche sprach mit Lukas Raeder über seinen rasanten Aufstieg, das Leben in Portugal, die Erfahrungen mit Manuel Neuer und seine sportliche Perspektive.

Lukas Raeder, sie haben ein Haus am Meer und stehen bei einem portugiesischen Erstligisten unter Vertrag. Sie können sich momentan nicht großartig beschweren, oder?
Das Leben hier ist natürlich sehr schön. Setúbal ist ein toller Ort. Hier machen selbst viele Portugiesen Urlaub. Anfangs war die Unpünktlichkeit der Leute hier sehr nervig. Aber man gewöhnt sich dran. Das macht keiner absichtlich, im Süden ist das wohl einfach normal. Aber insgesamt bin ich mit den Lebensumständen schon sehr zufrieden, das ist richtig.

Wie fällt ihr sportliches Fazit aus? Hat sich Ihr Wechsel vor zwei Jahren gelohnt?
Ich würde sagen, es lief bisher durchwachsen. 32 Pflichtspiele habe ich bisher absolviert. Anfangs war ich Stammspieler und habe einige gute Spiele gemacht. Es wurde danach aber viel auf Rotation gesetzt. Deshalb saß ich auch häufig auf der Bank. Ab und an hätte ich mir etwas mehr Vertrauen gewünscht. Aber ich möchte nicht rumheulen und schaue stattdessen nach vorne. Ich habe ein gutes Verhältnis zum Trainer. Mein Ziel ist es, gute Leistungen abzuliefern, wieder regelmäßiger zu spielen und der Mannschaft zu helfen.

Mit gerade einmal 20 Jahren haben Sie den Schritt ins Ausland gewagt. Warum haben Sie sich dazu entschieden? Nach Ihrer Zeit in München hätten Sie sicher auch in Deutschland Fuß fassen können.
Ich habe in Setúbal die beste sportliche Perspektive gesehen. In der ersten portugiesischen Liga zu spielen, ist eine sehr gute Sache. Andere Optionen waren da, aber es musste sportlich einfach passen. Und hier war das der Fall. Ich bereue bisher nichts.

Wie ist das Niveau der portugiesischen Liga einzuordnen? Ihr alter Verein, der FC Bayern, hatte im letztjährigen Viertelfinale der Champions League gegen Benfica Lissabon kein besonders leichtes Spiel.
Es gibt ein sehr großes Gefälle in dieser Liga. Ganz oben stehen die vier Top-Teams Benfica, Sporting, FC Porto und Sporting Braga. Diese Vereine spielen auf einem sehr hohen Niveau und müssen sich auch international nicht verstecken. Dahinter ist alles sehr offen. Es hängt auch viel davon ab, ob die guten Spieler gehalten werden können. Die Spitzenvereine halten die Augen immer offen. Es werden viele Transfers getätigt. Das ist normal. Für unsere Mannschaft wird es wieder darum gehen, so früh wie möglich den Klassenerhalt perfekt zu machen. Das sollten wir auch schaffen.

Sie spielen im Land des frisch gebackenen Europameisters. Wie haben Sie diesen Triumph Portugals erlebt?
Die Euphorie hier war riesig. In Portugal herrschte Ausnahmezustand, das war schon beeindruckend. Den Leuten war letztlich auch egal, wie dieser Titel gewonnen wurde. Dass einige holprige Spiele und Unentschieden dabei waren, interessierte niemanden. Das ist anders als in Deutschland. Bei uns wird häufig das Haar in der Suppe gesucht.

„2014 war sehr aufregend. Ich war Teil dieser großen Bayern-Mannschaft. Das vergisst man nicht.“

2014 war Ihr bisher aufregendstes Jahr als Profi. Mit dem FC Bayern haben Sie in der Bundesliga und im Pokal gespielt, in Ihrem letzten Spiel für die Reserve ist Ihnen ein entscheidender Fehler im Relegationsspiel gegen Fortuna Köln unterlaufen. Wie denken Sie mit etwas Abstand darüber?
Den Fehler im Relegationsspiel habe ich abgehakt. Es ist viel darüber gesprochen und geschrieben worden. Es tut mir leid, dass wir wegen dieses Fehlers nicht aufgestiegen sind. Aber das habe ich natürlich nicht mit Absicht gemacht. So etwas kann im Sport passieren. Wichtig ist, dass man damit umgehen kann. 2014 war insgesamt sehr aufregend. Ich habe viel erlebt und ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrungen machen durfte. Drei Spiele habe ich gemacht und war Teil dieser großen Bayern-Mannschaft. Das vergisst man nicht.

Beim FC Bayern haben Sie mit einem gewissen Manuel Neuer zusammengespielt. Was zeichnet diesen Mann aus?
Es stimmt schon, dass er der beste Torhüter der Welt ist. Er weiß auch, was er kann. Manuel hat ein enormes Selbstvertrauen, das spürt jeder auf dem Platz. Er hat keine Angst davor, Fehler zu machen. Natürlich klappt auch bei ihm nicht immer alles. Aber selbst wenn er mal einen Fehler begeht, sagt niemand etwas dazu. Dieses Standing hat er sich in den letzten Jahren einfach aufgebaut. Aber menschlich passt es bei ihm. Ich kannte ihn schon aus meiner Zeit in der A-Jugend auf Schalke. Richtig kennengelernt habe ich Manuel in München. Er kam sehr schnell auf mich zu und bot mir seine Hilfe an. Das fand ich toll, denn ich konnte einiges von ihm lernen. Er hat wirklich keinerlei Allüren.

Einen Lehrmeister hatten Sie auch in jungen Jahren beim ESV 10/21. Wie kam es eigentlich dazu, dass Harald Bründermann mit Ihnen auf den Trainingsplatz ging?
Thomas Zander war mein Jugendtrainer beim ESV. Er hat Harry (Harald Bründermann, Anm. d. Red.) gesagt, dass es am Krausen Bäumchen einen jungen Torwart gibt, den er sich mal anschauen soll. Also schaute er vorbei und sah in mir offenbar Potenzial. Das teilte er mir so mit.

Und dann ging es sofort mit dem Einzeltraining los?
Nein, vorher haben wir uns noch intensiv unterhalten. Er wollte, dass ich es auch durchziehe. Wenn ich es machen würde, dann richtig. Er sprach deshalb auch mit meinen Eltern. Als wir zustimmten, ging es los. Ich habe regelmäßig mit ihm trainiert und es wurde Schritt für Schritt besser. Irgendwann habe ich selbst gemerkt, dass es fruchtet und ich ganz oben landen kann.

Harald Bründermann sagte zuletzt in einem Interview, dass Sie einige Kilo zu viel auf den Rippen hatten und Sie ein Freund von Fast Food waren. Hat er damit recht?
(lacht) Es stimmt schon, dass ich in ganz jungen Jahren ein paar Kilo zu viel hatte. Das war aber nicht alles dem Fast Food geschuldet. Nach den ersten Trainingseinheiten mit Harry waren die überflüssigen Pfunde aber sehr schnell weg.

Inzwischen haben Sie es zum Profifußballer geschafft. Haben Sie noch Kontakt zu ihrem alten Mentor?
Wir pflegen nach wie vor einen sehr guten Kontakt, sprechen sehr häufig und tauschen uns aus. Wenn ich mal in Essen bin, trainieren wir auch weiter zusammen.

Haben Sie eine Wohnung in Ihrer alten Heimat?
Nein, aber ich habe noch mein Zimmer bei meinen Eltern. Übernachten kann ich auch bei meiner Freundin. Wenn wir eine längere Pause haben, bin ich immer hier. Ich bin gerne in Essen. Das ist meine Heimat.

In Ihrer Heimatstadt warten die Fußballfans sehnsüchtig auf erfolgreichere Zeiten von Rot-Weiss Essen. Sie haben zuletzt bei der Video-Kampagne „Zusammen hoch 3“ mitgemacht. Glauben Sie an den Aufstieg?
Ich habe das sehr gerne gemacht, weil ich nah an diesem Verein bin und er mir am Herzen liegt. Es wäre einfach toll, wenn es bald mit dem Aufstieg klappen würde. Die Stadt und die Fans hätten es verdient. Machbar ist es auf alle Fälle.

Ihr Vertrag in Setúbal läuft am Ende der Saison aus. Wie geht es für Sie weiter? Ist eine Rückkehr nach Deutschland denkbar?
Zunächst einmal möchte ich eine gute Saison spielen und häufig zum Einsatz kommen. Was dann passiert, ist offen. Auf lange Sicht würde ich sehr gerne wieder in Deutschland oder in England Fußball spielen. In Deutschland ist auch die 2. Bundesliga sehr interessant. Ich lasse es einfach auf mich zukommen. •


Das ist Lukas Raeder
Geboren am 30. Dezember 1993 in Essen
Vereine Jugend: ESV 10/21, MSV Duisburg, Rot-Weiss Essen, FC Schalke 04
Vereine Senioren: FC Bayern München I + II, Vitória Setúbal
Erfolge: Deutscher A-Juniorenmeister (2012), Deutscher Meister (2014), DFB-Pokal-Sieger (2014), Regionalliga-Meister (2014)