Erschienen in Auf Asche #17 - September 2015

Erschienen in Auf Asche #17 – September 2015

In Essen sind gleich mehrere Fußballplätze verwaist und dienen nun zur Unterbringung von Flüchtlingen

Von Martin Herms

Rund neun Jahre sind vergangen, seit die Stadt Essen den ominösen „Masterplan Sport“ veröffentlichte – ein 110 Seiten starkes Manifest, das die Schließung zahlreicher Sportplätze vorsah. Mit Hilfe der entstandenen Einsparmöglichkeiten wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Kunstrasenplätze geschaffen, doch nicht jeder Verein konnte bisher davon profitieren. Und selbst die Vereine, die das Glück hatten, eine nagelneue Anlage zu erhalten, blicken noch heute mit Wehmut auf ihre alte Heimat zurück. Doch der Glanz von früher ist auf einigen Sportstätten längst verflogen. Was bleibt, sind die Erinnerungen und ein „Lost Ground“. Auf Asche hat einige dieser traditionsreichen Fußballplätze unter die Lupe genommen und erzählt, was aus ihnen geworden ist. Ob das Mathias-Stinnes-Stadion in Essen-Karnap, die Sportanlage Altenbergshof in Altenessen, die Hamburger Straße in Frohnhausen oder der Volkswald in Werden: Die dahinwelkenden Stätten früherer sportlicher Erfolge erzählen jede Menge und immer ihre eigenen Geschichten, doch diese hier sind für einige Menschen noch wieder anders.

Denn was ein „Lost Ground“ ist, hat für die Neuankömmlinge auf der „Sportanlage Altenbergshof“ im Essener Nordviertel eine ganz andere, viel schlimmere Bedeutung. Unweit der City mit ihren glitzernden Konsumtempeln sind 100 Flüchtlinge in Großraumzelten untergebracht. Der seit Jahren ausgediente ehemalige Platz des VfB Essen Nord 09, auf dem sich Generationen Essener Amateurkicker blutige Knie geholt und den die meisten wegen seiner räumlichen Enge verflucht haben, ist für sie ein Ort der Hoffnung und des Aufbruchs in ein möglichst sehr viel besseres Leben. Und so hat die für den Fußball verlorene „Sportanlage Altenbergshof“ einen neuen, sinnvollen Nutzen gefunden, auch wenn die Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten auf Sportplätzen – egal ob auf dem Altenbergshof, Am Volkswald in Heidhausen oder an der Planckstraße in Holsterhausen – nur vorübergehend sein kann.

Wie so viele Fußballvereine im Revier hat auch der VfB Nord schon bessere Tage erlebt. Der Traditionsverein musste seine Heimat im Jahr 2010 endgültig räumen und zur Seumannstraße umziehen. Die heftigen Proteste der Vereinsführung verhallten ungehört. So bleiben lediglich die Erinnerungen an die früheren Glanzzeiten am Altenbergshof. Es ist mehr als zwei Jahrzehnte her, seit die Blau-Weißen sogar mal in der Verbandsliga gespielt haben. Einer der legendären Spieler von damals war Freddy Bartilla. Der heutige Sportliche Leiter der Sportfreunde Altenessen 18 wechselte 1993 im Alter von 37 Jahren zum VfB Nord und führte den Klub mit 29 Toren als Landesliga-Torschützenkönig in die damals höchste Amateurspielklasse am Niederrhein. „Auch wenn ich dort erst zum Ende meiner Laufbahn gespielt habe, war es die schönste Zeit meiner Karriere. Die kleine Anlage hatte ein ganz besonderes Flair und lockte in den besten Zeiten 500 bis 1.000 Zuschauer an“, erinnert sich Bartilla. „Unsere Gegner waren hingegen vom Altenbergshof nicht so begeistert, die haben gefragt, wo denn gespielt werde. Unser Platzwart antwortete dann immer trocken: ‚Hier auffe Asche, wo sonst?‘ Die Gesichter der Gegner werde ich nie vergessen.“

Trotz einer ganz ordentlichen Saison 1993/94 stieg die Truppe vom Nordviertel ein Jahr später direkt wieder ab und wurde in den folgenden Jahren weit nach unten durchgereicht. Nach dem Abstieg aus der Landesliga übernahm die auch heute noch beim VfB tätige Familie Chacinski das Ruder beim VfB. Zur Saison 2011/2012 musste der VfB zur Seumannstraße umziehen und hat dort mit dem dortigen Stammverein ESC Preußen nach wie vor Differenzen in Sachen Verkauf, Trainingszeiten und Platzwahl. Aktuell spielt der VfB Nord in der Kreisliga B2 Essen Nord-West.

Weitaus besser sieht die Gegenwart für den SC Werden-Heidhausen aus. Vor zwei Jahren zog der Bezirksligist aus dem Volkswald auf den nagelneuen Kunstrasenplatz im Löwental um. Auch wenn dieser Schritt gerade für die Jugendarbeit ein Segen sein dürfte und deshalb unausweichlich war, schwingt gerade bei den Werdener Urgesteinen eine Menge Melancholie mit. Eines davon ist Danny Konietzko, der langjährige Trainer der ersten Mannschaft, der auch zu seiner aktiven Zeit im Volkswald kickte. Die alten Zeiten auf der roten Asche wird er so schnell nicht vergessen. „Die Spiele im Volkswald waren einfach großartig. Das war eine einzigartige Atmosphäre“, betont Konietzko. Da die Stadt Essen das Areal ähnlich wie am Altenbergshof noch nicht anderweitig verwenden konnte, dient der Platz nun ebenfalls zur Unterbringung von zahlreichen Flüchtlingen. Wo sich der SC Werden-Heidhausen einst legendäre Pokalschlachten mit dem ETB lieferte, sollen Menschen nun die kommenden Wochen und Monate verbringen.

Gleiches gilt für das Mathias-Stinnes-Stadion in Karnap. Dort soll in Kürze das siebte Flüchtlingsdorf in Essen entstehen, das rund 400 Menschen Platz bieten soll. Einst war es für den Essener Jugendfußball der Austragungsort der Kreispokalendspiele. Bis 1995 spielten dort die Karnaper Vereine SG Karnap 27 und TSG Karnap 07. Nach der Fusion zum FC Karnap zog der Klub zur Lohwiese um. Das Stadion wurde von dort an von der zweiten Mannschaft von Rot-Weiss Essen genutzt und Stück für Stück abgerissen. Im Jahr 2000 kaufte der Stromversorger RWE die Spielstätte, und der Bader SV durfte bis 2012 dort seinen Trainings- und Spielbetrieb absolvieren. Offiziell bot das Mathias-Stinnes-Stadion bis zu 9.000 Besuchern Platz. Die Karnaper Vereinsikone Lars Nübel kickte schon zu Jugendzeiten auf dem Rasen. „Es war großartig, auf diesem Sportplatz zu spielen, schließlich war es schon immer ein großes Stadion. Das hat immer Bock gemacht. Es ist schon schade, dass dort alles vorbei ist.“

Planerisch gilt das Mathias-Stinnes-Stadion derzeit laut Auskunft der Stadtverwaltung als Erweiterungsfläche für das benachbarte Müllheizkraftwerk. Die großartigen Erinnerungen kann Nübel und Co. trotz dieser eher biederen Aussicht aber dennoch keiner mehr nehmen.

Foto: Michael Ketzer